Manchmal ist das lästig für unsere Kunden. Kürzlich habe ich jedoch eine evolutionsbiologische und psychologische Legitimation für unsere Position gehört, die mich darin bestärkt hat, dass wir mit unseren vielen Fragezeichen auf dem absolut richtigen Weg sind.
Eine neue Serie des Futureday Network beschäftigt sich unter dem Titel „Z-Talks für Freunde der Zukunft“ mit – wie sich unschwer erahnen lässt – Themen rund um die Gestaltung unserer Zukunft. Im zweiten Talk, über den ich kürzlich gestolpert bin, hat sich Gastgeber Florian Kondert mit Zukunftsforscher und Psychologen Dr. Carl Naughton über „Neugier“ unterhalten. Und da war mein „Ja-klar, natürlich-muss-das-so-sein-Erlebnis“.
Schon Johannes Hoffmeister, deutscher Philosoph und Germanist, hat festgestellt, dass „Neugier das als Reiz auftretende Verlangen ist, Neues zu erfahren und insbesondere Verborgenes kennenzulernen“. Carl Naughton präzisiert, in dem er die Neugier als etwas evolutionär Elementares bezeichnet. Sie ist dafür verantwortlich, dass wir erstens überleben und zweitens dazulernen. Die Intensität der Neugier, und das war mir bisher neu und macht gleich nachdenklich, nimmt allerdings ab circa 40 Jahren ab – und zwar deshalb, weil wir, rein evolutionär betrachtet, mehr oder weniger ausgelernt haben. Wir wissen so ziemlich alles, um mit dem weiteren Leben zurande zu kommen, zu überleben.
Wie können wir dennoch das Feuer unserer Neugier am Lodern halten, um so sicherzustellen, dass wir gerade im unternehmerischen Kontext nicht stehenbleiben? Die Antwort darauf lässt sich in drei Punkten zusammenfassen:
- Be open
Was so viel heißt wie, dass man Neugier natürlich trainieren und damit kultivieren kann. Offen bleiben für alles und jeden, als Motor für die eigene Entwicklung und als eine der Quellen für Innovationen. - Be there
Also Fokussierung und Konzentration auf das, was man macht, bei der Sache sein, könnte man auch sagen. Die Systemiker sagen dazu auch: energy flows, where attention goes. - Do what matters
Im Sinne von: Mach, worauf es ankommt, was dir wichtig ist. Keine Energie unnötig für Seitenstränge vergeuden, sondern das verfolgen, wofür das Herzblut fließt.
Fünf Dimensionen der Neugier
Neugier ist aber nicht gleich Neugier. Seit den 1950er-Jahren beschäftigen sich Psychologen mit der Frage, warum manche Menschen neugieriger sind als andere. Sie sind zur Erkenntnis gelangt, dass Neugier nicht eine einzelne Eigenschaft ist, sondern in fünf Dimensionen unterteilt werden kann. Carl Naughton unterscheidet bei seiner Betrachtung zwischen Alltagsneugier und einer beruflichen Neugier, was auf folgenden Ebenen basiert:
- Entdeckerfreude
Sie ist uns allen angeboren, findet aber unterschiedliche Ausprägung und lässt, wie schon gesagt, ab 40 nach. Die Entdeckerfreude ist sozusagen die ursprünglichste Form der Neugier. - Wissensmangel
Es macht uns unruhig, Dinge nicht zu wissen. Wir möchten gerne dahinter blicken, klüger werden. Diese Informationslücken und der Wunsch, sie zu schließen, lösen Neugier aus. - Soziale Neugier
Der Mensch als soziales Wesen will mehr erfahren über andere. Er fragt nach, hört zu, erkundet – und manchmal gleitet er auch ins Spionieren und Aushorchen ab. - Thrill Seeking
Der Nervenkitzel, die Bereitschaft Risiken einzugehen, um neue Erfahrungen zu machen, ist eine weitere Dimension. Man ist bereit, die Furcht vor Neuem zu verstärken, um Erkenntnis zu gewinnen. - Anspannungstoleranz
Anders ist das bei der Anspannungstoleranz. Man ist eher bemüht, das nicht Vorhersehbare kalkulierbar zu machen. Und wenn es nicht möglich ist, sich dem dennoch zu stellen – Ausgang ungewiss.
Diese fünfte Dimension der Neugier, die Anspannungstoleranz, ist jene Form, die es gerade im unternehmerischen Kontext am häufigsten zu überwinden gilt. Allzu gerne verlässt man sich auf das Bekannte, Bewährte. Oder man wählt selbst am Ende eines Innovationsprozesses jene Lösung mit dem geringsten Risikopotenzial. Für Teams, die sich in Unternehmen mit Innovation und Zukunft beschäftigen, ist es deshalb umso wichtiger, dass sie möglichst divers aufgestellt sind – also besetzt mit Menschen unterschiedlicher persönlicher Ausprägung.
Die Big Five
Ein Erfolgsfaktor bei der Zusammenstellung solcher Teams ist deshalb, sie nach den Erkenntnissen der „Big Five“-Theorie zu gruppieren. Sie besagt grob umrissen, dass es fünf Hauptdimensionen der Persönlichkeit gibt:
- Offenheit für Erfahrungen
- Gewissenhaftigkeit
- Extraversion
- Verträglichkeit
- Neurotizismus
Der ideale Neugier-Cocktail besteht also in einer möglichst ausgewogenen Mischung der fünf Zutaten. Jede Persönlichkeit hat nicht nur ihre Berechtigung, sondern ist, im Konzert mit den anderen, essenziell für das Gelingen von Innovation, von Entwicklung. Es gibt übrigens recht gute Tests, um für sich selbst oder sein Team herauszufinden, bei wem welche Dimension wie ausgeprägt ist und wie sich das für das Kollektiv darstellt. Einen Link dazu finden Sie am Ende des Beitrags.
Was bedeutet das jetzt alles?
Neugier ist wichtig. Nein, sie ist entscheidend für die Gestaltung unserer Zukunft. Carl Naughton bezeichnet sie deshalb nicht umsonst als „Zukunftsmut“. Sie steht daher auch keineswegs im Gegensatz zum heute so gerne bemühten „Purpose“, also dem Sinn und Zweck eines Unternehmens. Im Gegenteil – die Neugier ist die Triebfeder für eine ständige Weiterentwicklung von Purpose in Richtung Zukunftsfähigkeit überhaupt.
Deshalb bitte auch nicht böse oder genervt sein, wenn wir weiter „Why first“ in den Fokus unserer strategischen Arbeit stellen. Es ist unserer Entdeckerfreude, dem Wissensmangel, der sozialen Neugier und der Anspannungstoleranz geschuldet. Wenn wir dabei manchmal zusätzlich den Thrill suchen, dann auch nur mit der Absicht, unsere Projekte und damit unsere Kunden erfolgreicher zu machen.
In diesem Sinne ist Neugier für uns eine Berufskrankheit, die wir hegen und pflegen und uns von niemandem „heilen“ lassen. Sie hoffentlich auch nicht.