Ja ja, das mit der Kreativität ist so eine Sache. Als Designer wird man zwar chronisch unterschätzt („Der macht irgendwas mit diesem Photoshop oder so“), oft aber hört man auch Dinge wie „Da bist du der Kreative.“ oder auch schon mal „Das mit der Kreativität, das war noch nie so recht meins.“. Das glauben viele und führen es dann darauf zurück, dass sich dies bereits in der Volksschule abgezeichnet habe – schließlich wäre man schon damals nicht besonders gut im Zeichnen oder Werken gewesen. Das konnten viele andere besser. Kreativität war denen, also auch mir als „Kreativem“, quasi in die Wiege gelegt. Aber das ist natürlich in jeder Hinsicht vollkommener Blödsinn.
Kreativ kann jeder
Nein, das hat jetzt nichts mit bewusstseinserweiternden Substanzen zu tun. Jeder, der wie so mancher Politiker, auch schon einmal „punktuell gekifft“ hat, weiß vielleicht, wie es sich am nächsten Tag anfühlt, herauszufinden, dass die tolle Idee vom Vorabend sich am nächsten Tag ungefähr genauso dumpf anfühlt, wie in dem Moment der eigene Schädel. Mit Kreativität hat das aber genau nichts zu tun. Weil echte Kreativität immer Nützliches hervorbringt. Das Einzige, das viele daran hindert, kreativ zu sein, ist die Angst davor, nicht gut darin zu sein. Und das nur wegen ein paar stupiden Mythen über Kreativität an sich.
Erstens: Weniger kreative Menschen haben eine weniger ausgeprägte Hirnhälfte
Weit verbreitet, oft geglaubt und die Mutter aller Ausreden: Man hat zwar kein geistiges Handicap, aber jeder hat so seine Seite, auf der er stärker ausgeprägt ist. Die kreativen Typen haben ihre Talente eher auf der rechten, die Logiker auf der linken Gehirnhälfte. Tatsächlich ist es zwar schon so, dass die beiden Gehirnhälften unterschiedliche Funktionen erfüllen, so richtig funktionieren tut’s aber nur, weil sich unser Körper da was echt Schneidiges einfallen hat lassen: Die Vernetzung der beiden Hälften. Die rechte Hirnhälfte ist beispielsweise für Problemlösungen zuständig, die linke beispielsweise für viele Bereiche des Storytellings – beides sehr kreative Vorgänge. Die linke hat’s also auch faustdick hinter den Ohren, wenn man das über eine Gehirnhälfte sagen kann … Also: Keine Ausreden mehr, über dominante Gehirnhälften zu reden, ist so aussagekräftig wie darüber, ob man Wassermann oder Skorpion ist.
Zweitens: Kreative Gedanken sind geniale Einfälle
Klar. Und Kreativtechniken Gottes Beitrag. Alex F. Osborn wäre dann quasi der Isaac Newton der Kreativberufe und sein Fragenkatalog das Roulette der Kreation. Kreative Gedanken sind natürlich kein Glück oder die Eingebung einer höheren Macht. Das kommt daher, dass einendiezündende Idee oft da trifft, wo es nicht unbedingt üblich ist – am stillen Ort, unter der Dusche, beim Autofahren oder mitten in der Nacht im Bett. In Wahrheit ist Kreation aber harte Arbeit, die plötzlich auftauchende, problemlösende Idee der letzten Schritte und das Ergebnis der unterbewussten Beschäftigung mit eben diesem Problem. Großartige Kreation entsteht zumeist dort, wo Menschen teils wie besessen mit Hilfe von verschiedensten Techniken an der Lösung eines Problems arbeiten. Newton wurde ja bekanntlich auch nicht ganz so arg vom Apfel überrascht.
Drittens: Wir Kreativen sind einsame, exzentrische Nerds
Okay, man kann mit uns zwar nicht Essen gehen, ohne dass wir uns über die Typografie der Speisekarte aufregen. Zugegeben, wir wundern uns im Supermarkt lautstark über die Verpackung unserer Cookies. Der Geruch eines frisch gedruckten Buches bewegt uns zu einem kurzen Moment des Innehaltens. Aber gehen Sie mal mit einem Mechaniker auf die Genfer Automobilmesse … Auch sonst gehen wir gern mal auf einen Drink, zum Sport oder fahren Bus. Und der einsame Reiter, der sich mit niemandem austauscht und keine andere Meinung zulässt, als die seine – na ja, der hat’s bekannterweise schwer. Kreation ist Teamsport. Die besten Ideen kommen nicht von einer Person alleine, sondern sind das Ergebnis eines teils langen Austauschprozesses mit seinem Umfeld – natürlich über die Grenzen des beruflichen Umfeldes hinaus.
Und: Brainstorming
Wieviele epochale Ergebnisse, die einem echt die sprichwörtliche Wurst vom Brot ziehen, kommen aus klassischen Spontan-Brainstormings? Genau. Eher wenige. Dieser Misserfolg hemmt viele Menschen und stärkt deren Meinung, sie seien nicht so kreativ wie andere. Außerdem ist da dieser eine Kollege, der immer die Ideen anderer mit der Sense des Todes niedermäht. Und die Vorgesetzte, die vielleicht über meinen Gedanken lacht, ist diesmal auch dabei. Brainstormings brauchen bestimmte Techniken, das war immer schon Grundvoraussetzung. Beobachtungen haben aber zudem ergeben, dass es viel effizienter ist, das Brainstorming vielmehr als Treffen zu sehen, in dem sich die Teilnehmer über ihre zuvor alleine für sich erarbeiteten Ideen austauschen. Die Basis ist viel breiter, die Ansätze divergenter und die Möglichkeit, kreative Ideenkombinationen zu finden, größer. Außerdem ist der Druck nicht da, nach dem Erschallen der Startpistole einen plötzlichen Kreativitäts-Rohrkrepierer zu verspüren. Nicht nur vor, sondern auch nach Brainstormings, ist eine selbstreflexive Zeit und eigeninitiatives Nachdenken nachgewiesenermaßen förderlich.
Ach ja, da war ja noch was
Übers Geld wollten wir ja auch noch reden. Eine kürzlich erschienene Studie hat ergeben, dass das Verhältnis zwischen Firmen, die Kreativität fördern und ein Umsatzwachstum von 10% oder mehr erzielt haben, und der weniger kreativen Konkurrenz bei 3,5 zu 1 liegt. Interessant, oder?
Fazit
Jeder kann kreativ sein. Aber: Kreativität bedeutet harte Arbeit, Zusammenarbeit und Austausch mit Anderen. Die Kreativität haben wir nicht mit dem Löffel gegessen oder als geniales Talent mit auf den Weg bekommen. Und Zeichnen konnte ich in der Volksschule schon etwa gleich gut wie heute – nämlich leider gar nicht. Aber ich werd’ dran arbeiten, auch wenn’s hart wird. 😉