Die Krise hat uns zur Selbstreflexion gezwungen. Hat Arbeitsmodelle durcheinandergeworfen, uns technischen Fortschritt aufgezwungen und Experimente in der Arbeitswelt ermöglicht, die bis dahin nur als vage Idee existiert haben. Zurückgeblieben sind Fragen. Wie geht es jetzt weiter? Was behalten wir, was lassen wir zurück? Was ist uns überhaupt wichtig? Und wie wollen wir morgen arbeiten?
Work-Life-Balance
Wie kommt es, dass ein Unternehmen, das in den Bereichen Gehalt, Jobsicherheit und Frauenquote mittelmäßig bis schlecht abschneidet, trotzdem immer wieder zu einem der Top-Arbeitgeber in Deutschland gewählt wird? Die Rede ist vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt. Wer hier arbeitet, ist befristet angestellt. Bezahlung: mittelmäßig. Zusatzleistungen: Fehlanzeige. Dafür gibt es Gleitzeit und Vertrauensarbeitszeit. Mitarbeiter können zeitweise im Homeoffice arbeiten. Work-Life-Balance und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie stehen an erster Stelle. Ein Trend, der sich quer durch alle Branchen beobachten lässt: Immer mehr Angestellte bevorzugen persönliche Freiheiten, Wertschätzung und mehr Freizeit. Und verzichten dafür auf das große Gehalt.
Was beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt schon länger funktioniert, mussten viele Unternehmen durch die Krise erst einmal herausfinden. Oder sich zumindest bestätigen lassen. Denn wie es einem Artikel des Zukunftsinstitutes zum Thema Arbeiten nach Corona heißt, „Anwesenheitspflicht ist abwesend – für immer“.
Freiheit
Schon seit geraumer Zeit legen immer mehr Menschen Wert auf zeitliche und örtliche Flexibilität am Arbeitsplatz. Das uns durch Corona aufgezwungene „Experiment Home Office“ hat viele positive Seiten aufgezeigt, neue Potentiale freigesetzt, aber auch viele Fragen aufgeworfen. Was machen Angestellte im Home Office? Sind sie zuhause genauso produktiv wie im Büro? Sitzen sie konzentriert vor ihrem Computer am Arbeitstisch? Oder liegen sie gemütlich mit dem Laptop auf der Couch? Und schauen daneben fern? Und wenn ja … stört das irgendwen? Die kurze Antwort lautet: ja. Zu Beginn der Corona-Krise, als alle Welt von einem Tag auf den anderen ins Home Office wechselte, gab es einen signifikanten Anstieg beim Kauf von Kontroll-Software, mit der der Arbeitgeber den Arbeitnehmer überwachen kann.
Was für den Büroangestellten vielleicht neu klingt, ist in anderen Branchen schon längst etabliert: Ein Paketzusteller oder Zusteller für einen Essenslieferdienst wird längst auf jedem Schritt und Tritt digital überwacht. Und das wortwörtlich: Mit einer App wird jeder (Arbeits)schritt – von der Bestellung bis zur Auslieferung – zeitlich und örtlich festgehalten.
Eigenverantwortung
Am anderen Ende der Skala steht die Eigenverantwortung. Es gab sie schon vor dem Home Office, aber heute ist sie wichtiger denn je: die Vertrauensarbeitszeit. Wir sind plötzlich in der Lage, unsere Zeit selber einzuteilen, sie flexibel und individuell zu gestalten. Der Arbeitgeber entlässt den Arbeitnehmer zu einem großen Teil in die Eigenverantwortung. Die Selbstregulierung ersetzt das klassische Kontrollsystem – so zumindest in der Theorie.
Mit dem Home Office haben wir viel gewonnen. Die neue Freiheit hat jedoch auch einen Preis. Arbeitszeit und Freizeit verschwimmen immer mehr miteinander. Wenn sich unser Leben dahingehend verändert, dass wir 24/7 erreichbar sind, wie machen wir dann noch Pause? Wenn wir auf dem Handy angerufen werden und einen Firmenlaptop bei uns zuhause haben, wie können wir uns abgrenzen? So kann sich mitunter auch die neu gewonnene Freiheit wie (mehr) Arbeit anfühlen.
Unternehmenskultur
Die Zeit im Home Office hat viele Fragen aufgeworfen. Und Dinge, die vorher schon nicht so gut gelaufen sind, ins Rampenlicht gerückt. In manchen Unternehmen war es die lang ersehnte Freiheit. Ein Experimentierfeld. Ein regelrechter Produktivitäts-Push. In anderen hat gar nichts mehr funktioniert. Bei allen Vorteilen hat das Home Office nämlich einen signifikanten Schwachpunkt: die Kommunikation. Auf Dauer braucht es den Austausch mit anderen, um inspiriert zu werden, neue Ideen zu beflügeln, einen Perspektivenwechsel einnehmen zu können und seinen Horizont zu erweitern – auf persönlicher Ebene, nicht nur digital.
Ob Home Office für ein Unternehmen funktioniert oder nicht, hängt schlussendlich auch von dem Vorhandensein einer Unternehmens- bzw. Führungskultur ab. Denn nur wenn es gegenseitiges Vertrauen, Verständnis, Flexibilität und Engagement gibt, wenn Werte tatsächlich gelebt werden, dann klappt die Zusammenarbeit auch „remote“. Denn wie es in dem Artikel des Zukunftsinstitutes heißt: „Einem Unternehmen geht es nur dann gut, wenn es auch der großen Gruppe gut geht – Partnern, Kunden, Mitarbeitern, Mitbewerbern.“
Und jetzt?
Eines würde mich noch brennend interessieren. Was kommt wohl als nächstes? Wenn uns das Experiment Home Office großteils geglückt ist, warum nicht auch die Arbeit an anderen Orten? Der Gedanke ist gar nicht mehr so abwegig. Was früher Bloggern oder IT-Spezialisten vorbehalten war, könnte bald auch in unserem Arbeitsleben Einzug finden – dass Arbeit von überall auf der Welt möglich ist. Vorausgesetzt wir können wieder reisen natürlich.